Bibel und Koran zu Gast
Ein katholischer und ein muslimischer Theologe im Gespräch auf der Landesgartenschau. Ein Bericht von Markus Waggershauser, Redakteur der Diözese Rottenburg-Stuttgart.
Was hat Gott sich dabei gedacht? Manche religiösen Führer und spirituellen Ideen kommen und gehen. Aber die großen Weltreligionen bestehen seit Jahrhunderten, ja Jahrtausenden. Dies nicht als bekämpfenswerte Katastrophe, sondern als von Gott gewollte Herausforderung an den eigenen Glauben zu sehen, das verbindet den Christen Professor Dr. Karl-Josef Kuschel und den Muslim Dr. Samet Er. Beide erzählten auf der Hauptbühne der Landesgartenschau in Wangen sehr persönlich von ihrer Auseinandersetzung mit der Religion des jeweils anderen. Eingeladen hatten sie die christlichen Kirchen der Stadt im Rahmen der „wertvoll“-Reihe.
Nein, sie lieferten sich keinen Schlagabtausch über die aktuelle Politik in Palästina, im Iran oder über die Situation auf den Straßen Deutschlands. Es ging um die heiligen Bücher, die Bibel und den Koran. Und um Abraham oder Ibrahim, der in beiden Büchern wie auch im Judentum als Urvater eine zentrale Rolle spielt. „Der Islam versteht sich nicht als neue Religion, sondern als Vermittler der alten Botschaft - eben aus islamischer Sicht“, betonte Er. Gott korrigiere also Entwicklungen der beiden Vorgängerreligionen durch den Propheten Mohammed. Das lehnen Christ:innen wiederum ab, weil Gott sich in seinem Sohn Jesus Christus bereits endgültig geoffenbart habe.
Diese gegenseitige „Verwerfungsgeschichte“, wie Kuschel es nannte, führte dazu, dass er im Studium von seinen theologischen Lehrern so gut wie nichts über den Koran erfahren habe. Sein „Erweckungserlebnis“ hatte er im Jahr 1980 kurz nach der iranischen Revolution, als dort islamische Religionsführer die Macht übernahmen. Über einen Trialog aller drei Religionen in den USA entdeckte der Germanist und katholische Theologe zunehmend den „unglaublichen Reichtum biblischer Überlieferungen im Koran - aber immer in islamischer Perspektive“. Und er gelangte zur Überzeugung, dass es den Islam nicht gäbe, hätte Gott ihn nicht gewollt.
Samet Er ist in Kirchheim unter Teck geboren und machte als Kind türkischer Gastarbeiter zunächst den Hauptschulabschluss, dann die mittlere Reife und das Abitur. Auch er hörte in seiner Jugend bei seinen Eltern und in der Moschee kaum etwas über andere Religionen. Bis er 2010 zu den ersten 30 Studierenden der islamischen Theologie in Tübingen gehörte. „Professor Kuschel ist die Person, die mich zum interreligiösen Dialog gebracht hat“, verriet der heute 34-Jährige dem Publikum. Er entdeckte das Christentum als Teil des islamischen Glaubens.
Aus dieser Perspektive las Er den Koran neu und sollte zwei Jahre später bei einer interreligiösen Veranstaltung über Almosen im Islam referieren. Nach dem Vortrag des Christen und der Jüdin musste er feststellen, dass fast alle seine Inhalte bereits gesagt sind. So beschäftigte er sich intensiver mit Tora und Bibel. Nach dem Gewohnheitsrecht habe seine Religion vieles von den anderen übernommen, was Gott nicht im Koran ausdrücklich anders bestimmt habe, stellte er fest. Die Unterscheidung zwischen dem Kern des Glaubens und dem geschichtlich bedingten Rahmen habe die islamische Theologie vom Christentum gelernt. Er müsse also nicht wie Mohammed einen langen Bart tragen.
Karl-Josef Kuschel, der von 1995 bis 2013 an der katholischen Fakultät Theologie der Kultur und des interreligiösen Dialogs lehrte und stellvertretender Direktor des Instituts für ökumenische und interreligiöse Forschung der Universität Tübingen war, unterstrich ebenso diese geschichtliche Hermeneutik. Dazu gehörten auch die Äußerungen im Koran zur Verfolgung der Ungläubigen. Damals mussten sich Mohammed und seine Anhänger kriegerisch in ihrem Umfeld behaupten. „Das auf das 21. Jahrhundert zu projizieren, ist fatal“, sagte der Professor.
Samet Er sieht den interreligiösen Dialog hierzulande im globalen Vergleich weit fortgeschritten. „Deutschland sollte da eine Vorreiterrolle einnehmen“, wünschte er sich im Blick auf Fundamentalisten weltweit. Dialog bedeute aber weder den anderen zu bekehren noch alle Unterschiede schönzureden. Kuschel erläuterte dies am Beispiel des Kreuzestodes Jesu. Dass Gott seinen Sohn sterben lässt, sei für Muslime unvorstellbar. Hier gelte es „die Andersartigkeit des anderen besser und tiefer zu verstehen“. Wenn nun jemand den Koran lesen wolle, empfahl Kuschel von hinten zu beginnen. Dort stünden die kürzeren und ursprünglicheren Verse.
Als der katholische Dekanatsreferent Stephan Wiltsche und die evangelische Pfarrerin Friederike Hönig, die die Veranstaltung moderierten, die Referenten zum Kirchenmotto „Sei unser Gast“ befragten, verwiesen diese wieder auf den Urvater Abraham, der einst drei Engel beherbergte. Die etwas weniger als 100 Teilnehmenden, die trotz Regens und kühler Temperaturen aufs Gartenschaugelände kamen, stimmten in Statements dem Gehörten zu und spendeten großen Beifall. Und der Dialog ging weiter. Nach dem interreligiösen Friedensgebet mit Liedern unterhielten sich zwei Wangener Christinnen angeregt mit einem jungen muslimischen Paar, das durch Zufall dazugestoßen war.
Fotos: M. Waggershauser, drs